Rätsel um den „Pilgerstein von Elze“:
Denkmalsforscher tagten in Alfeld – Schwierige Deutung eines alten Mahnmals.
Die niedersächsische Arbeitsgruppe der Kleindenkmalsforscher, vor zehn Jahren von Lehrer Werner Müller in Elze gegründet, tagte kürzlich in Alfeld und besichtigte nach drei Lichtbildervorträgen im Alfelder Heimatmuseum (früher Alte Lateinschule, dann Lehrerseminar) die auf dem Museumshof aufgestellten Kreuz- und Gedenksteine, vor allem den sogenannten Pilgerstein. Dies ist ein Mahnmal ohne Datum und Inschrift, aber mit einer eingeritzten knieenden Figur mit wie zum Gebet erhobenen Händen vor einem Pilgerstab.
Pilger oder Ritter ?
Einige Tagungs – Teilnehmer meinten jedoch, die Figur stelle keinen Pilger dar, da an seinem Mantel die Pilgermuschel fehle. Nach Kleidung, Haarschnitt (Pagenkopf) und nach der erwartungsvollen Haltung scheine die Figur eher einen Ritter darzustellen, wie sie aus der Manessischen Handschrift im 13. Jahrhundert überliefert seien. Der Bildhauer habe für die Figur wahrscheinlich eine aus den 138 Miniaturen von 140 Minnesängem des 13. Jahrhunderts zum Vorbild genommen.
Diese Miniaturen wurden in der Mitte des vorigen Jahrhunderts wiederholt in Berlin gedruckt und erläutert, 1962 auch im Inselverlag zu Leipzig herausgegeben. Im Inselverlagbuch Nr. 560 fand ich auf Seite 36 den „schenke vo Limpurg (den Schenken von Limburg) dargestellt, einen knieenden Ritter mit erhobenen Händen, der in demütiger Haltung von seiner Herrin als Abschiedsgeschenk einen mit Pfauenfedern geschmückten Helm empfängt. Hinter ihm sieht man das Vorderteil seines Pferdes, das, an einen Baum gebunden, ungeduldig mit den Vorderhufen scharrt. Die Hände des Ritters sind, wie auf dem Stein, nicht zum Gebet gefaltet, sondern nur erhoben.
Auf einem Acker bei Elze entdeckt
Über die Entdeckung und Sicherstellung dieses 85 cm hohen, sich nach oben hin verjüngenden Steines von 21 cm Dicke mit dieser eingeritzten, knieenden Figur berichtete der verstorbene Alfelder Kreis – Heimatpfleger Wilhelm Barner im Heft „Niedersachsen“ vom April 1960. Demnach war 1958 auf dem Acker des Landwirts Ebeling zu Elze am Oseder Bach beim Tiefflügen im hier anstehenden Lößlehm der Junglandwirt Friedrich Vespermann auf diesen großen Stein mit der seltsamen Zeichnung gestoßen. Er teilte den Fund seinem Herrn mit, der ihn gleich dem Heimatmuseum zu Alfeld meldete. An einem regnerischen Märztag 1958 wurde der Stein besichtigt und vom Besitzer und Ausgräber ohne Umschweife und Formalitäten dem Heimatmuseum zu Alfeld übereignet. Es dauerte aber noch, bis er abgeholt werden konnte, und am 2. April war er plötzlich verschwunden und konnte erst mit Hilfe der Polizei auf einem anderen Hof in Elze wiedergefunden werden, wo man ihn zerschlagen und mit anderen Feldsteinen zur Fundamentierung eines Stallneubaus verwenden wollte! Nun wurde eine Straßenbaufirma mit dem sofortigen Abtransport des Steines beauftragt, und am 3. April 1958 konnte der Pilgerstein auf dem Museumsplatz in Alfeld aufgestellt werden.
Ein Mahnmal an der Kreuzung
Wilhelm Barner datierte den Stein auf Grund der Haartracht und der Kleidung der knieenden Person in das Ende des 13. Jahrhunderts. Er hielt ihn für ein Mahnmal für Pilger an der Kreuzung des alten Hell- und Königsweges vom Coppenbrügger Paß über Hemmendorf, Oldendorf, Benstorf, Mehle, Poppenburg, der nördlich von Elze den Leinetalweg überschneidet. Als man zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Trasse der preußischen Poststrasse Poppenburg – Mehle nach Süden verlegte und über Elze führte, wurde der alte Weg in die Äcker einbezogen und der Pilgerstein in den Hohlweg gestoßen. Er gelangte so in den Acker, um 1958 wieder zum Vorschein zu kommen. Aufgestellt, meint Barner, habe ihn an der ursprünglichen Wegekreuzung wohl ein frommer Mann, vielleicht der Abt des nahen Klosters Wülfinghausen, dort, wo ehemals der Pfad von Elze nach Kloster Wülfinghausen die Straße schnitt.
Kreuzstein in Salzhemmendorf. Die Scheibe zeigt auf der Vorderseite Christus am Kreuz mit Maria und Johannes. Auf dem Schaft ist zwischen Hammer und Zange eine knieende Büßergestalt mit erhobenen Händen dargestellt.
Der Orden der Tempelherrn
Nun aber ist Wülfinghausen ein Frauenkloster, das 1236 von den Rittern Bock von Wülfingen gegründet wurde und das heute noch ein Damenstift ist. Aber zwischen Benstorf und Mehle liegt unweit der alten Heerstraße ein größerer Hof von 12 Hufen Landes, wegen seiner Größe der Quanthof genannt, der später aufgeteilt und in Benstorf eingemeindet wurde. Dieser Quanthof gehörte im 13. Jahrhundert dem geistlichen Orden der Tempelritter, der als erster der geistlichen Ritterorden 1119 von französischen Rittern in Jerusalem gegründet wurde und der sich nach seinem dortigen Mutterhaus beim ehemaligen Salomonischen Tempel nannte. 1180 zählte der Templerorden schon über 300 Ordensritter aller Nationen. Die Zahl der Laienbrüder war unübersehbar. Durch Schenkungen und auch durch eigenen Ankauf kamen überall viele Güter in ihren Besitz. Als der Templerorden 1312 aufgelöst wurde, ging dessen Güterbesitz auf die Johanniter über, von den Ordensrittern mit dem weißen Mantel und dem roten Kreuz zu denen mit dem schwarzen Mantel und dem weißen Kreuz.
Die „Gottesritter“ zum Quanthof
Nach dem Hamelner Urkundenbuch I, 161 geht aus späteren Weiterverkäufen hervor, daß die Tempelherren zwischen Osterwald und dem Thüster Berg einen ganzen Güterkomplex im 13. Jahrhundert besessen haben, von denen der Quanthof anscheinend der Verwaltungsmittelpunkt, der Zehnthof, gewesen ist. So gehörten den „Gottesrittern zum Quanthof“ auch sieben Hufen zu Sehlde auf dem Felde zu Reinlevessen (wüst), dreieinhalb Hufen zu Dedelmissen (Deilmissen), drei Hufen zu Everdagessen (wüst), der Zehnt zu Esbeke (Esbeck) und 60 Sack Salz auf dem Salzwerke zu Hemmendorf. 1360 verkauft der Herr von Homburg die sieben Hufen zu Sehlde und zwei Meierhöfe daselbst, die er von den Gottesrittern zum Quanthofe gekauft habe, an das Kloster Wülfinghausen und dessen treuer Hand, dem Ritter Ordenberg, sowie dessem Bruder, dem Knappen Siegfried Bock, unter Vorbehalt des Wiederkaufs (Homburger und Wülfinghauser Regesten). Im Jahre 1425 wurde auch der Quanthof an das Kloster Wülfinghausen verkauft, wo dann die jeweiligen Klostervögte es als Vorwerk haben verwalten lassen. Es soll dort neben den Vorwerksgebäuden eine Wohnung und eine Kapelle gegeben haben. Als in den Fehden später alles verwüstet wurde, hat das Kloster die Ländereien, die Mühle und die Schäferei 1512 an einige Leute pachtweise ausgetan. Seitdem hatte der Quanthof außer der älteren Mühle dort drei Meier- und zwei Kothöfe.
Von einem Bock von Wülfingen errichtet
Die Frage, ob die knieende Figur auf dem Pilgerstein von Elze einen Pilger oder einen Ritter darstellt, dürfte um 1300 wohl dahin zu entscheiden sein, daß der Stein wahrscheinlich von einem Ritter aus dem Geschlecht der Bock von Wülfingen aufgestellt wurde. Sie waren die Inhaber mehrerer Herrensitze zwischen dem Osterwald und dem Thüster Berg, sie waren um 1300 auch Pfandinhaber der Poppenburg und gehörten damals auch dem Templerorden an, dem sie hier Stiftungen machten. Beim Verkauf der Sehlder Hufen und anderer Tempelherrengüter hatten sie auch wieder die Hand im Spiel. Die Templer hatten nicht nur im Heiligen Land die Aufgabe, den Pilgern Schutz zu gewähren und die Straßen zu sichern, sie hatten auch für die Heerwege der Heimat das Geleitrecht. Der Pilgerstein von Elze kann durchaus einen Ritter aus dem 13. Jahrhundert darstellen.
Ein alter Kreuzstein in Salzhemmendorf, jetzt aufgestellt an der Kirche, ehemals am Bocksberg auf der Westseite des Kansteins mit der Jaheszahl 1397 und Resten der lateinischen Inschrift „cujus anima requiescat in pace, d. h, dessen Seele in Frieden ruhe, Amen“, zeigt auf dem Schaft auch eine knieende Figur im langen Rock, die Hände erhoben, ähnlich bei dem Manne auf dem Pilgerstein von Elze.
Dr. Annemarie Ostermeyer