Im östlichen Teil des Kreises Hameln-Pyrmont, nahe der Grenze zu den Nachbarskreisen Alfeld und Holzminden im „Weenzerbruch“ südöstlich von Wallensen, lag der bedeutendste Braunkohlentageabbau im mittleren Niedersachsen. Weit abseits vom Helmstedter Braunkohlenrevier und den ostelbischen Vorkommen war hier Jungtertiär-Braunkohle abgelagert. Laut einer alten Aufzeichnung aus dem Jahr 1787 soll der Weenzer reitende Förster Rahn durch den Hufschlag seines Pferdes auf schwarzes Material gestoßen sein, das sich dann bei weiterer Prüfung als brennbares Material herausstellte – sprich Braunkohle. Auch erzählte man sich, dass durch das Pflanzen eines Baumes unmittelbar unter der Erdoberfläche Braunkohle festgestellt wurde.
Wie der Braunkohlenabbau danach in Gang gekommen ist, geht aus Unterlagen im Archiv des Oberbergamtes Clausthal-Zellerfeld hervor. Der Auffindungsbericht vom 15. September 1842 des Verwaltungsbeamten Quaet-Faslem des Amtes Lauenstein, ein Begutachtungsauftrag des Königlichen Oberforstamtes und das Gutachten vom 13. Juni 1843 des Bergbeamten Hartleben des Steinkohlen-Bergwerks Osterwald ist die erste Bestätigung eines Braunkohlevorkommens im „Weenzerbruch“. Auf die Gutachten hin wurden die Vorbereitungen für einen Braunkohlenbergbau begonnen, auch war die Braunkohle als Hausbrand besonders wichtig, da die umliegenden Wälder den Bedarf der Bevölkerung an Brennmaterial nicht decken konnte. Im Herbst 1843 wurde ein flachstreichendes Braunkohlelager in der Größe von ¼ ha Staatsforstfläche im Auftrag der Königlich – Hannoverschen – Bergwerksverwaltung freigegeben.
Die Arbeit und Verwaltung übernahm das staatliche Bergwerk Osterwald und die ersten Schürfe wurden von den Bergleuten Stichweh, Warnecke und Rießner ausgeführt. Abgebaut wurde die Braunkohle hauptsächlich im Tagebau, aber auch in einem Stollen und begann dort, wo sich heute der Ferienpark Humboldtsee befindet. Im Jahre 1846 waren 31 Arbeiter beschäftigt, es gelang jedoch nicht, das Förderprodukt bei den Verbrauchern der Gegend allgemein einzuführen. Die Haldenbestände häuften sich und es mußte aus Platzmangel die Hälfte zu Asche verbrannt werden. Die Verwaltung gab ca. ein Drittel der Kohle an Bedürftige gratis aus; diese verkauften aber leider die Kohle weiter. Trotz der Schwierigkeiten bemühen sich andere Unternehmen um Pachtung der Gruben, so 1855 der Fabrikant Nehse der Neustädter Eisenhütte und 1858 der Osnabrücker Ingenieur Gordian. Sie werden aber abgewiesen. 1843 bis 1858 hat die Verwaltung einen hohen Zuschuss leisten müssen, bedingt durch die Nässe der Kohle und ihren hohen unverkäuflichen Feinanteil. Wegen Absatzschwierigkeiten und Unrentabilität wurde der Betrieb im Jahre 1861 eingestellt.
Die Preußische Bergwerksverwaltung nahm 1871 den Abbau wieder auf und machte Pressversuche, die so günstig ausfielen, dass auch eine Brikettpresserei in Betrieb genommen wurde. Infolge der Konkurrenz der Sollinger Braunkohle und der westfälischen Steinkohle entwickelte sich der Absatz keineswegs befriedigend. Im Jahre 1897 begann man mit einem Tiefbaubetrieb, der aber auch wegen fehlender Absatzmöglichkeit bald wieder zum Erliegen kam. Die Braunkohlenlagerstätte wurde 1899 wieder neu aufgeschlossen und die Bergbaugesellschaft Wallensen gegründet. Nachdem mit den Grundbesitzern langfristige Kohlenabbauverträge abgeschlossen waren, konnte die industriemäßige Kohlenförderung beginnen. Damals begann man, weil das viele Grundwasser der darüber liegenden Wiesen nicht zu bewältigen war, den Abbau im Tiefbau. Die Bergbaugesellschaft wandelt sich 1901 um in die „Gewerkschaft Humboldt“ und errichtet 1902 zwischen den Orten Wallensen und Thüste eine Brikettfabrik, die Rohbaukohle zu Briketts weiterverarbeitet. Mit der Gründung der Gewerkschaft wurde Wallensen ein Bergarbeiterort, das hat wesentlich zu allgemeinen Wohlstand beigetragen. Für die damalige Zeit war das ein großer wirtschaftlicher Fortschritt.
Den Transport der frisch geförderten Kohle von der Grube zur Fabrik übernahm zunächst eine 1250 m lange Seilbahn, die aber später, 1955, direkt vom Flöz über ein Gleiswerk zur Brikettfabrik gelangte. Mit dem Abbau der Braunkohle im Tagebau wurde ab 1903 begonnen. 1905 wurden weitere Kohleabbauverträge mit der staatlichen Forstverwaltung geschlossen und „Gewerkschaft Humboldt“ übernahm Grubenflächen der Preußischen Bergwerksverwaltung, die im Bereich des Regierungsbezirks Hildesheim gelegen waren. Eine ständig steigende Gewinnung von Rohbraunkohle und deren Verarbeitung zu Briketts war die Folge.
In der Brikettfabrik werden von der angelieferten Kohle 30-40% zur Erzeugung von Dampf und elektrischem Strom selbst verbraucht, während für die Brikettherstellung die restlichen Anteile verbleiben. Die Humboldt-Briketts erhielten später das Markenzeichen der Gewerkschaft, das Wort „Sonne“. Es wurde in der eigenen Fabrik in Stempel eingefräst und auf die Briketts aufgebracht. Das Brikett ist zündwillig und zeichnet sich durch lange Brenndauer und milde Glut aus. Es war deshalb überall dort beliebt, wo, wie beim Hausbrand, diese Eigenschaften wertvoll sind. Da es verhältnismäßig aschearm war und fast frei von Schwefel, stellte es in manchen Industrien einen begehrten Brennstoff für Feuerungen und Gasgeneratoren dar. Der Löwenanteil der Erzeugnisse wurde per Bahn an ihre weltweiten Empfänger in den Handel gebracht, der Rest von Lastfahrzeugen. Auch kleine Fahrzeuge und Handwagen sah man mit Brikett beladen vorbeifahren, denn ein Teil der Arbeiter holte seine Deputatkohle (Teil seines Lohnes in Naturalien) selbst ab.
Die Gewerkschaft Humboldt gehörte zum Mitteldeutschen Braunkohlensyndikat Leipzig und der Absatz lief über den Helmstedter Braunkohlen Verkauf Hannover. Hauptsächlich gingen die Briketts nach Hannover, Schleswig-Holstein und auch nach Mecklenburg. Leider gab es auch zwei erschütternde Ereignisse auf dem Braunkohlenbrikettwerk Humboldt. Am 22. April 1929 gegen 16 Uhr explodierte ein Trockenofen. In einem Schneckengang war ein Brand ausgebrochen und bei den Löscharbeiten erfolgte plötzlich eine Explosion. Der Erdboden erzitterte, pflügende Gespanne gingen durch, richteten aber keinen Schaden an. Den zur Unfallstelle strömenden Menschen bot sich ein Bild wüster Zerstörung. Alle Fensterscheiben waren zertrümmert. Die Arbeiter wurden auf den Erdboden geschleudert und fast alle beschäftigten Personen, darunter Direktor Wielfel, erlitten schwere Brandverletzungen. Es war schnell ärztliche Hilfe zur Stelle und nach der ersten Hilfeleistung wurden die Verletzten durch Autos in die Hamelner Krankenhäuser gebracht. Im Krankenhaus starben dann leider fünf Schwerverletzte: Aufseher Heinrich Bunnenberg, die Arbeiter Bertram und Wisch aus Wallensen, Muck aus Salzhemmendorf, Reinhardt aus Grünenplan und Monteur Zwing aus Berlin. Im Juni 1932 ereignete sich in der Brikettfabrik ein schwerer Unfall um 15.30 Uhr. Ein Dampfrohr ist geplatzt und der Heizer Schütte aus Ockensen wurde dadurch so verbrüht, sodass leider nur der sofortige Tod festgestellt werden konnte.
Im Jahre 1925 war das reichste Kohlenfeld ausgebeutet, die benachbarten Felder waren kohlenärmer. Das Ende des zweiten Weltkrieges 1945 brachte dann einen kriegsbedingten Tiefstand der Produktionsleistungen. Durch die heruntergewirtschafteten Betriebseinrichtungen und dem bestehenden Kapitalmangel sah sich damals die Werksleitung geradezu vor die Schicksalsfrage gestellt, den Betrieb still zu legen. Aber mit großer Tatkraft und durch umfangreiche Betriebsverbesserungen gelang es, die Produktion wieder zu steigern. Ab 1947 erforderte die ständig größer werdende Nachfrage nach Braunkohle und die wachsende Verbreiterung eine sich immer steigende Kohlenförderung und erreichte 1955 im Jahr 368.500 Tonnen, die Briketterzeugung betrug 96.310 Tonnen. Die Transportseilbahn der Rohbraunkohle von der Grube zur Brikettfabrik wurde durch eine neue Gleisanlage ersetzt. Dampfende Lokomotiven und rasselnde Loren halten sich bereit, den Abraum an die jeweiligen Kippstellen zu befördern.
Nahezu 300 Arbeiter und Angestellte waren in der Gewerkschaft Humboldt beschäftigt. Vorwiegend in Wallensen und Thüste, aber auch in Ockensen und Weenzen waren die Bergarbeiterfamilien zu Hause, deren Männer und Söhne in der Braunkohlengrube oder in der Brikettfabrik das tägliche Brot für sich und ihrer Angehörigen mit harter Arbeit erwarben. Viele waren auch noch nebenbei in der Landwirtschaft oder in anderen Berufen tätig. Nach dem Krieg sind auch viele Heimatvertriebene ansässig geworden. Im Laufe der Jahre wurden auch Bergmannssiedlungen in Wallensen für die Angehörigen der Gewerkschaft errichtet. Viele von ihnen konnten durch die Mitbegründung und Beteiligung an der „Wohnungsbaugesellschaft niedersächsischer Braunkohlengesellschaft“ in die Lage versetzt werden, sich ein eigenes Haus zu bauen, teils auch mit Landwirtschaft.
Der Vorstand der Gewerkschaft Humboldt hatte im Frühjahr 1954 einen konzessionierten Vermesser im Bergbau in Clausthal-Zellerfeld beauftragt, ein Gutachten über die voraussichtliche Lebensdauer der Grube anzufertigen. Unterlagen waren ihm bekannt und geläufig, da er die Grube seit Jahren betreute. In seinem Gutachten kam er zu der Erkenntnis, dass die voraussichtliche Lebensdauer ab Juli 1946 bei rund 10 Mio. Tonnen Kohlenvorrat und einer Durchschnittsförderung von 370.000 Tonnen im Jahr noch rund 27 Jahre betragen könnte, d.h. „von Juli 1946 bis Herbst 1973“. Aber sehr deutlich ist von diesem Gutachter auch der Hinweis gemacht worden: „Der Kern des Vorkommens ist abgebaut; die Gewinnung geht jetzt in Randfeldern vor sich und wird auch in Zukunft nur in solchen stattfinden können“. Die Zuverlässigkeit des Gutachtens war aber nicht nur von technischen Fakten abhängig, etwa von der Schätzung der Abbauverluste, die geologisch bedingt recht unterschiedlich ausfallen können, sondern auch von der Durchschnittsförderung, die sich den Absatzmöglichkeiten anpassen muss.
Die Gewerkschaft Humboldt wurde 1960 in „Humboldt Bergbaugesellschaft m.b.H“ umbenannt und 1961 wurde zum 60jährigen Bestehen der „Gewerkschaft Humboldt“ das Bergmannsfest in Wallensen gefeiert. Die Humboldt-Briketts, die mittlerweile „Sonne“ hießen, wurden in ihrer Qualität viel besser als vor Jahren. Doch durch die strukturellen Änderungen (Erdöl, Erdgas) auf dem Energiemarkt und immer mehr wachsenden Absatzschwierigkeiten kam es 1965 zur Kurzarbeit Da eine Änderung dieser unliebsamen Situation in absehbarer Zeit nicht zu erwarten war, verließen einige Arbeiter den Betrieb und die Humboldt Bergbaugesellschaft war gezwungen, die Kohlegruben und die Brikettfabrik zum 30.06.1966 stillzulegen. Diese Ankündigung war für das Leben der Gemeinden ein tiefeinschneidendes Ereignis. Was sollte nun werden? Etwa 255 Beschäftigte verloren ihren Arbeitsstelle, unter ihnen auch italienische Gastarbeiter, und mussten sich einen neuen, meist auswärtigen Arbeitsplatz suchen. Auch war das für die Gemeinde Wallensen und Thüste ein finanzieller Verlust, denn die eingehende Gewerbesteuer durch die Bergbaugesellschaft fiel weg. Die Abwicklung zog sich bis zum 31.12.1966 hin. Viele Maschinen, Hallen usw. wurden verkauft, Kohlewagen verschrottet und vieles auch gestohlen. Die Kohlehalden verschwanden nach und nach und einige füllten sich den Keller mit den guten „Sonnebriketts“.
Interview mit einem Zeitzeugen
In einem Interview erzählt der ehemalige Bergmann Herr Sobotta aus der Zeit der Humboldt Gewerkschaft. Herr Sobotta stammt aus Oberschlesien und ist seit dem Kriegsende 1945 im Raum Wallensen ansässig. Er wurde im Jahre 1926 geboren.
„Warum sind Sie nach dem Krieg nach Wallensen gekommen?“
„Ich war bei der Marine und konnte nicht mehr in meine Heimat nach Oberschlesien zurück. Dass ich nach Wallensen gekommen bin war eigentlich ein Zufall. Ich habe bei der Ankunft in Wallensen als einzigen Besitz nur meine Marineuniform gehabt. Ich wurden dann in einer Baracke einquartiert. Hier lebten pro Raum 4 Personen. Eine Baracke hatte 6 Räume. Es gab in der Baracke nur eine Küche und einen Waschraum.“
„Warum sind Sie damals in diese Baracke gezogen?“
„Es gab keine andere Möglichkeit. Man konnte nur Arbeit finden, wenn man einen Wohnraum nachweisen konnte und andersherum bekam man nur eine Mietwohnung, wenn man Arbeit nachweisen konnte. Ich habe dann ziemlich schnell bei Humboldt Arbeit gefunden. Die Baracken gehörten übrigens auch zu Humboldt. Während des Krieges haben da Zwangsarbeiter aus ganz Europa gewohnt.“
„Was haben Sie zu Anfang gearbeitet?“
„In den ersten Jahren musste man in der „Kolonne“ arbeiten. Das war die schwerste und am geringsten bezahlte Arbeit bei Humboldt. Die „Kolonne“ war dafür zuständig, die Schienen, auf denen die Bagger fuhren zu verrücken und auch die Schienen der Grubenbahn zu verlegen. Das war größtenteils schwerste Handarbeit. Es wurde in drei Schichten zu 8 Stunden gearbeitet. Die erste Schicht in der Woche begann montags um 6.00 Uhr, die letzte Schicht der Woche endete sonntags um 6.00 Uhr. Wir hatten also nur sonntags nach der Nachtschicht frei. Als Stundenlohn habe ich damals 1,00 RM erhalten. Das war zwar wenig Geld, aber Humboldt hat auch Vorteile gehabt: Jeder Arbeiter bekam 80 Zentner Briketts als Deputat, bei den Lebensmittelmarken erhielten die Humboldt Arbeiter eine Schwerarbeiterzulage. Außerdem gab es noch sogenannte „Bergmannspunkte“ für Bekleidung. Mein erster Anzug nach dem Krieg kostete 10 Zentner Briketts, 30 Mark. Für das Futter musste ich noch 4 Dosen Wurst geben. Die Knöpfe stammten von einem alten Anzug. Wegen des wenigen Geldes mussten die Bergleute nach der Arbeit bei Humboldt noch beim Bauern arbeiten, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Ich bin ganz häufig direkt nach der Nachtschicht, nach der Frühschicht oder vor der Spätschicht noch 4 – 5 Stunden zu einem Bauern zum Arbeiten gegangen. Vom Bauern wurde ich dann mit Naturalien in Form von Korn, Milch oder manchmal auch Fleisch, bezahlt. Als Flüchtling hatte ich es aber anfangs sehr schwer im Dorf Anschluss zu finden. Die Flüchtlinge waren nicht gut angesehen bei den alteingesessenen Dorfbewohnern, weil wir in beschlagnahmten Zimmern untergebracht wurden.“
„Haben Sie irgendwann leichtere Arbeit bekommen?“
„Ja, nach Jahren, die mit einer Ausbildung und Prüfung zum Lokführer verbunden war, habe ich bis ungefähr 1960 eine Dampflok gefahren. Wir hatten insgesamt 13 Lokomotiven im Betrieb. Die Loks konnten jeweils 10 Loren aus der Grube ziehen. Am Ausgang der Grube gab es einen kleinen Rangierbahnhof. Hier wurden Züge mit 20 Loren neu zusammengestellt und von einer Lok zur Fabrik gefahren. Jeder Zug hatte einen Bremser. Der war aber zu meiner Zeit nicht mehr für das Bremsen, sonder für das Stellen der Weichen zuständig. Die Lokomotiven wurden mit Briketts beheizt. Dafür war auch der Bremser zuständig. Die Grube wurde im Laufe der Zeit immer tiefer. Am Ende haben wir auf der 5. Sohle Braunkohle abgebaut. Von der 5. Sohle bis zum Grubenausgang mussten zwei Lokomotiven eine Zug mit 10 Loren ziehen. Auch die Fahrt vom Rangierbahnhof zur 5. Sohle musste mit zwei Maschinen gefahren werden, da eine Lok den Zug nicht bremsen konnte. In den letzten Jahren habe ich einen Bagger bedient. Da gab es ein bisschen mehr Geld. Ich war auch Betriebsratmitglied. Damals gab es keine prozentualen Lohnerhöhungen. Je nach Lohngruppe gab es, nicht wie heute fast jedes Jahr, sondern in größeren Abständen Lohnerhöhungen von 4 – 8 Pfennig je Stunde. Damit waren die Leute aber auch zufrieden.“
„Gab es im Laufe der Zeit auch technische Verbesserungen, die die Arbeit erleichterten?“
„Ja, zum Beispiel wurden Planierraupen angeschafft, um den Abraum besser und einfacher von der Kohle trennen zu können. Vorher war das weitgehend Handarbeit. Auch die Arbeit der „Kolonne“ beim Rücken der Gleise wurde einfacher, da auch dazu die Planierraupen benutzt wurden. Die Bagger wurden nach und nach vom Betrieb auf Schienen auf Raupenketten umgerüstet. Also entfiel auch hier das häufig notwendige Rücken der Gleise. Die neueren Bagger wurden von Dieselmotoren angetrieben, die alten mit Elektromotoren. Das aufwändige Nachführen der Stromkabel war dann auch vorbei.“
„Sie haben damals ein Haus gebaut. Wie war das bei den geringen Löhnen zu schaffen?“
„Die Firma hat mich und alle anderen, die zu der Zeit ein Haus gebaut haben unterstützt. Wie konnten zum Beispiel das benötigte Eisen in Form gebrauchter Eisenbahnschienen sehr günstig bekommen. Wenn Zement benötigt wurde, besorgte Humboldt in einer Art „Sammelbestellung“ gleich einen ganzen Eisenbahnwaggon. Der Zement kostete uns dann nur einen Bruchteil des normalen Preises.“
„Was haben Sie nach der Schließung von Humboldt ab 1966 gearbeitet?“
„Wir bekamen pro Jahr Betriebszugehörigkeit 10 DM Abfindung. Das Arbeitsamt hat sich um neue Stellen bemüht. Viele haben bei den Continental Reifenwerken in Hannover angefangen. Dort habe ich bis zum Rentenalter gearbeitet. Zum Schluss war ich Sicherheitsbeauftragter. Ein Problem war nur der lange Weg zur Arbeit. Man hat uns zu Anfang, ungefähr für ein halbes Jahr kostenlos mit dem Bus gefahren. Danach mussten wir 6 DM pro Woche für das Busfahren bezahlen. Als dann der Direktor wechselte wurde der Busverkehr ganz eingestellt. Wir sind dann in Fahrgemeinschaften zur Arbeit nach Hannover gefahren. Viele haben auch bei dem Fertighaus Hersteller OKAL angefangen, der auf dem alten Betriebsgelände ein neues Werk gebaut hatte.“
„Wo haben Sie lieber gearbeitet, bei Humboldt oder bei den Continental Reifenwerken in Hannover?“
„Ich habe zwar bei der Conti mehr verdient, aber allein der Weg zur Arbeit war doch sehr weit. Außerdem war ich bei der Conti nur die Nummer 1307, bei Humboldt war ich Franz Sobotta. Bei Humboldt waren wir alle eine große Familie, man war Mensch und keine Nummer. Wir hatten zwar eine schwere Arbeit, aber man kannte sich und hat sich ohne lange zu fragen gegenseitig geholfen, sowohl bei der Arbeit, als auch beim Bau der Eigenheime. Es gab auch häufiger mal kleine oder auch etwas größere Geschenke bei Humboldt: eine Tasche, eine Uhr oder andere Dinge. Wir hatten bei Humboldt sogar schon einen Betriebsarzt, der dreimal in der Woche im Betrieb Sprechstunde hatte. Ich habe es damals sehr bedauert, dass Humboldt 1966 geschlossen wurde.“
Das Wirtschaftsleben in Wallensen und Thüste war von 1900-1967 im wesentlichen durch den Braunkohlenabbau geprägt worden. An die Zeit als Bergmannsort erinnert heute das Bergmannsdenkmal, das im Jahr 1968 anlässlich der 900-Jahr-Feier des Ortes Wallensen in einer kleinen Grünanlage aufgestellt wurde. Auch das Sportgelände und die Sporthalle, zwischen Wallensen und Thüste gelegen, erinnert mit dem Namen „Glückauf“ an Bergwerk, Brikettfabrik und die Kumpel aus der Grube.